Vor ein paar Wochen wurde mir von Netflix ein Trailer zu einer Serie namens „Ragnarök“ angeboten. Ich schaute mir den Trailer an und fühlte mich trotz der darin vermittelten Weltuntergangsszenarien sofort an meine Norwegenreise zurückversetzt. Das fiktive Örtchen names „Edda“ heißt eigentlich Odda und befindet sich etwa 30km südöstlich von Bergen (Luftlinie). Die Serie habe ich zwar letztlich nicht gesehen, aber ich kann mir vorstellen, wie ein kleiner Ort wie Odda zum Filmschauspielplatz wird. Landschaftlich hat er nämlich eine Menge zu bieten.
Odda und seine Nachbargemeinden sind historisch betrachtet eigentlich eine Schwerindustrie-Region. Der Fjord war in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts so stark von Industrieabfällen verschmutzt, dass sämtliche in ihm lebenden Tiere vom Aussterben bedroht waren. Diverse Umweltschutzmaßnahmen und nicht zuletzt der Konkurs des Odda-Schmelzwerks führen dazu, dass Odda einen Großteil seiner Naturschönheit erhalten konnte.
Wer hier ist, der sollte eine Wanderung zum Buarbreen-Gletscher oder zur Trolltunga ab dem nördlich gelegenen Tyssedal erwägen, doch gerade bei der letzteren sei besondere Vorsicht geboten. Die Wanderung zur Trolltunga gilt als höchst anspruchsvoll und nicht selten müssen leichtsinnige Wanderer von der Bergwacht gerettet werden.
Wer ein paar entspannte Stunden sucht, dem sei empfohlen, sich die Gegend durch Geocaches zeigen zu lassen. Ich bin am dritten Tag meiner Norwegentour hier und habe bereits die Wanderungen zum Kjerag und auf den Preikestolen hinter mir. Heute lasse ich es langsamer angehen und lasse mich von hochbewerteten Geocaches leiten. Erfahrungsgemäß sind die attraktivsten Caches in dieser Region weniger aufgrund ihrer Bauweise populär, sondern wegen des landschaftlichen Erlebnisses. Damit lasse ich mir die Highlights der Region durch die Cachebauer selber zeigen, die auswählen, welcher Ort durch einen Cache vorgestellt werden soll. Diese besuche ich heute und nehme mir die Zeit, um die Natur nicht nur mit meinen Augen, sondern auch mit der Kamera festzuhalten.
Ich gehe nicht auf jeden Cache ein, der mir heute begegnet ist, sondern wähle mein Highlight für heute aus. Ich bewege mich einige Kilometer von Odda nach Süden, wo sich ein Geoache mit über 200 Favoritenpunkten befindet. Der Weg führt zur einen Seite an Fels und Wald vorbei, zur anderen der Grønsdåslona, ein Fluss, der von Süden nach Norden verläuft. Insgesamt fühlt sich die Straße eher eng und beklemmend an. Um so gewaltiger ist der Eindruck, als sich die Landschaft kurz vor dem Final öffnet und zwei Wasserfälle zu meiner Linken auftauchen.
Vor mir liegt der Låtefossen, ein Wasserfall, der als Naturspektakel in der Gegend bekannt ist. Mir ist er bis dato gänzlich unbekannt. Angesichts seines vermeintlichen Bekanntheitsgrades waren jedoch nur etwa zehn Parkplätze vor Ort, von denen ich aber einen erwischt habe, weil es noch relativ früh am Tag ist. Schon zehn Minuten später kam der eigentliche Andrang an den Schauplatz, wobei nicht gezögert wurde, mich in zweiter und sogar in dritter Reihe zuzuparken.
Anstelle mich darüber aufzuregen, besinne ich mich auf die Zeit, die ich mir heute nehmen wollte und mache ausgiebig Fotos dieser Wasserfälle aus verschiedenen Perspektiven, suche Caches, die auch in weiterer Entfernung sind und entdecke weitere Wasserfälle, die ich aufgrund des besseren Lichteinfalls sogar interessanter finde als die beiden ersten Fälle.
Ich begebe mich zurück an den Parkplatz, und sehe, dass ich inzwischen nur noch von einem Motorrad zugeparkt bin, dessen Fahrer sogar in der Nähe ist. Ich versuche also mein Glück und drängle mein Cachemobil aus der begehrten Zone.
Der Tag hielt einige kleine Naturschätze bereit. Des Abends suche ich mir einen Schlafplatz, denn ich möchte noch mindestens einen Tag in der Region bleiben, um eine längere Wanderung zu machen. Es ist relativ schwer, einen geeigneten Platz für das Zelt zu finden. Obwohl die Besiedlung sehr dünn ist, sind die Möglichkeiten an einen ruhigen Ort zu gelangen, der nicht in der Nähe eines Privatgrundstücks ist, sehr begrenzt. Ich entscheide mich also heute, das erste Mal meinen Notfallplan umzusetzen und die Nacht im Auto zu verbringen. Die Methode fällt streng genommen nicht in das Jedermannsrecht, aber es wird von den Norwegern toleriert. Wichtig dabei ist, dass man sich unauffällig verhält und kein campingtypisches Verhalten an den Tag legt. Vor allem sollte man nicht an zwei aufeinander folgenden Tagen am gleichen Platz bleiben. Das habe ich aber eh nicht vor.
Ich finde einen Parkplatz in Sekse, nördlich von Tyssedal, an dem bereits ein belgisches und ein niederländisches Paar mit ihren Wohnwagen stehen. Der Platz liegt in direkt am Fjord und bietet eine tolle Aussicht, die ich vor dem Essen ausgiebig aufnehme.
Der Abend neigt sich dem Ende. Es ist inzwischen schon nach 22 Uhr, aber hier im Norden ist es immer noch hell. Den Umbau des Autos habe ich bereits zu Hause geübt. Der Vordersitz wird komplett nach vorn geschoben und geschraubt. Die Rückbank wird umgeklappt und die Rückbanksitze nutze ich als Verlängerung der Rückbanklehne. Damit erreiche ich eine Liegefläche, die fast meiner Körperlänge entspricht, die ich mit einer Klappmatratze auslege. Damit ist das Liegen fast gemütlich.
Wider Erwarten schlafe ich aber sehr gut in der Notunterkunft. Am nächsten Tag wandere ich in nassen Stiefeln zu einem Gletscher hoch.