Ich entschuldige mich schon mal vorweg: Wer sich wundert, warum mir die nassen Stiefel auf dem Gletscher nicht zufrieren, dem muss ich gestehen, dass ich gar nicht AUF einem Gletscher gewandert bin, sondern nur dort HIN. Diese Präpositionalproblematik habe ich aber während meiner Suche nach einer spannenden Überschrift nicht lösen können. Aber es ist schön, dass du da bist.
Es ist inzwischen der vierte Tag meiner Norwegenreise. Spannendes liegt inzwischen hinter mir, vor mir liegt heute mindestens genauso Spannendes. Gestern habe ich die Gegend um Odda bereits erkundet, und da ich schon mal hier bin, möchte ich dem Tipp eines Herrn nachgehen, den ich auf dem Preikestolen kennen gelernt habe. Den Buarbreen-Gletscher habe ich überhaupt nicht auf dem Schirm gehabt, und der Cache, der mich hierher hätte locken können, hebt sich nicht deutlich von den anderen Caches in der Umgebung ab. Ich weiß also überhaupt nicht, was mich hier erwartet.
Grundsätzlich nehme ich vorweg: entgegen meiner Erwartungen ist die Wanderung, die mich bis kurz vor die Gletscherzunge führt, alles andere als kalt, im Gegenteil, es ist sogar angenehm warm. Dafür war die Erfahrung um so nasser.
Die Wanderung sollte etwa 1,5 bis 2 Stunden dauern, bei der lediglich 500 Höhenmeter überwunden werden. Damit sollte der Aufstieg verhältnismäßig einfach sein. Die Strecke gilt eher als Nebenschauplatz, so dass ich zwar gemeinsam mit einigen Wanderern hochlaufe, es wird aber bei Weitem nicht die Personendichte wie z.B. am Preikestolen erreicht. Das Auto wird beim Startpunkt gegen eine Gebühr von umgerechnet ca. 15 Euro abgestellt. Für deutsche Verhältnisse mag das viel klingen (das ist es auch), aber von dem Geld wird unter anderem die Pflege des Pfades finanziert, und der ist wirklich gut ausgebaut (zumindest von einer abenteuerfreudigen Perspektive aus betrachtet)
Direkt am Parkplatz befindet sich ein Bauernhof oder eine Farm, an der eine Rinderzucht betrieben wird. Ich quere den Hof und passiere dabei respektvoll einige scharf gehörnte Rinder, die sich aber kaum regen. Den Besucherverkehr sind sie offensichtlich gewöhnt. Die Landschaft ändert sich sehr schnell und plötzlich finde ich mich auf einem verschlungenen Pfad innerhalb eines schönen Waldes wieder. Hier befindet sich auch der Geocache, der sich offensichtlich so weit von der Hauptattraktion weg befindet, dass er wirklich relativ unspektakulär ist. Die Strecke steigt bereits langsam an und ich merke, dass der Boden immer feuchter wird.
Die Schuhe habe ich vor meiner Abfahrt ordentlich imprägniert, also sollten mir ein paar Tropfen nichts ausmachen. Die paar Tropfen werden bald zu einem kleinen Bach, der den gesamten Pfad ausfüllt. Das ist der Moment, an dem ich spätestens an meiner Orientierung zweifle, aber Sicherheit, dass ich richtig bin, geben mir die regelmäßig an den Bäumen wiederkehrenden T’s, die den Weg zum Ziel markieren. Mir bleibt nichts anderes übrig, als mein Gleichgewichtssinn auf 120% hochzufahren, um der Imprägnierung meiner Schuhe nicht gleich alles abzuverlangen.
Der Bach entwickelt sich bald zu einem reißenden Strom. Glücklicherweise ist der Pfad nicht mehr so geführt, dass ich in seinem Flussbett laufe, sondern eher parallel dazu. Schon sehr bald begegne ich jedoch größere Bachzuläufe, die meinen Weg queren. Die tiefsten Stellen sind mit Metallplanken überbrückt, die aber teilweise selber schon geflutet werden. Trotzdem kann man diese Stellen mit großen Schritten prima überwinden.
Bald zeigt sich, dass das Überqueren der gefluteten Brücken nicht mehr die größte Herausforderung darstellt. Es gilt nun, überhaupt erst auf die Plancken zu gelangen, ohne nasse Füße zu bekommen. Das gestaltet sich als immer schwieriger, die Imprägnierung kommt deutlich an ihre Grenzen. Dazu kommt, dass der Untergrund der Flussbetten, meist gesäumt mit Feldsteinen, sehr glatt ist und man sich sehr konzentrieren muss, dass man sich keinen Fehltritt leistet.
Der Wald wird langsam ausgedünnt, und je näher ich dem Gletscher komme, desto breiter werden die kreuzenden Ströme. An einem besonders breiten Fluss gibt es keine Hilfsmöglichkeit zum Überqueren. Die einzige Möglichkeit ist das DURCHqueren. Hier ist eine Entscheidung fällig, nämlich entweder der Abbruch und die Rückkehr zum Auto, oder die Querung des Flusses, wobei ich die Hälfte des Flusses vermutlich in meinen Stiefeln weitertragen würde. Natürlich probiere ich, die Entscheidung hinauszuzögern, indem ich einen Versuch wage, mit meinen bisherigen Methoden über das Wasser zu kommen und scheitere kläglich. Auch die Passage ohne Schuhe halte ich wegen der Verletzungsgefahr an Schnittkanten zu riskant.
Natürlich soll es weitergehen, also gehe ich weiter. Meine Schuhe werden geflutet und es ist – herrlich. Das Wasser ist verhältnismäßig warm. Es ist ein wenig ungewohnt, mit nassen Schuhen weiterzugehen, aber die Gewohnheit stellt sich schnell ein. Das allerbeste ist, dass es sich nun viel ungenierter laufen lässt, jetzt wo das eingetreten ist, was ich die ganze Zeit hierher mit allen Mitteln zu vermeiden suchte. Ich passiere auf dem Weg noch einige weitere fließenden Stellen, die nun kein Problem mehr darstellen.
Die Landschaft wandelt sich immer mehr, je höher ich steige, desto lichter wird die Vegetation und weicht Geröllflächen. Die Anstiege werden steiler. Immer öfter erreiche ich Stellen, an denen Kletterseile ausliegen, die den Aufstieg maßgeblich unterstützen.
Die Strecke führt fast bis an den Gletscher heran. am Ende befindet sich ein Aussichtspunkt, an dem das Weitergehen ausdrücklich untersagt wird. Das Verhalten von Gletschern ist unberechenbar, weil Teile davon ohne Vorwarnung abbrechen können. Das Begehen eines Gletschers ist sowieso ohne Führer schwierig, da man als Laie nur schwer sagen kann, ob das Abrutschen in eine Eisspalte ausgeschlossen ist. Also halte ich mit allen anderen Wanderern einen respektvollen Abstand von der blauen Naturschönheit. Da sowieso noch ein letzter Fluss direkt vor dem Gletscher zu überqueren hätte, dient der als natürlicher Abstandshalter.
Meine Wandergenossen und ich, mit denen sich hier am Ende des Weges ein paar nette Gespräche ergeben, ruhen ein paar Minuten vor dem Abstieg, genießen den Ausblick bei einem Müsli-Riegel und nehmen die Eindrücke optisch und mit der Kamera auf.
Abwärts geht es meistens schneller. Die Füße werden ein weiteres Mal gebadet und ich habe den Großteil des Weges eine tolle Aussicht in das Tal hinunter. Die Zeit verflieg wie im Flug und ich finde mich im Nu wieder auf dem Bauernhof wieder. Die Bewohner waren so nett und haben einen Kaffeetisch mit Selbstbedienung aufgestellt, an dem man sich gegen einen kleinen Obulus in die Vertrauenskasse bedienen kann.
Ich vermute, dass eine Wanderung und eine längere Zeit an der frischen Luft den Geschmackssinn anregt. Trotzdem bin ich nach wie vor der Meinung, dass diese frisch aus dem Ofen geholte und noch warme Zimtschnecken die besten sind, die ich je gegessen habe.